Mittwoch, 4. Juli 2012 (Tag 7)

Gefahrene Kilometer Flam - Borgund - Flam: 128

 

 

Der erste vorsichtige Blick aus den kleinen Fenstern im Schlafbereich lässt schon Vorfreude aufkommen. Kein Regen! Und hin und wieder blitzt sogar etwas Blau vom Himmel. Dann sahen wir aber zwei Kreuzfahrtschiffe ankern und ahnten Schlimmes. Als wir uns um 9.15 Uhr im Bahnhofsgebäude von Flam in die Warteschlange einreihten, sahen wir an der Anzeigetafel, dass alle Fahrten bis einschließlich 16.25 Uhr ausverkauft waren. Wir waren also gezwungen, zwei Karten für die Fahrt um 17.25 Uhr zu kaufen. Vermutlich hätten wir eine Stunde früher vor Ort sein müssen, aber möglicherweise hätten wir gegen die zahlreichen Kreuzfahrt-Touristen trotzdem das Nachsehen gehabt, da anzunehmen ist, dass diese bevorzugt behandelt werden, weil sie ja nur wenige Stunden Zeit haben, um derartige Ausflüge unternehmen zu können.

Sei's drum. Alles spekulieren und lamentieren nützte nichts, ein Alternativ-Programm musste her. Ein Blick auf die Straßenkarten gab uns die letzte Gewissheit. Wir fahren nach Borgund, dort steht die am besten erhaltene Stabkirche Norwegens. Zuvor hielten wir aber noch die Örtlichkeiten des Camping-Platzes fest und ich entdeckte dabei auch einen kleinen Hasen oder war es ein Kaninchen, der neben unserem Womo eine Zwischenmahlzeit zu sich nahm.

Bevor wir los fuhren machten wir noch einen kurzen Rundgang über den schönen Campingplatz, der nicht nur mit seiner außergewöhnlichen Lage (nur einen Steinwurf vom Bahnhof gelegen!) protzen konnte, sondern der darüber hinaus auch sehr gepflegt war und dessen Gemeinschaftseinrichtungen wie Duschen, Toiletten usw. auf dem neuesten Stand waren.

Wer in Norwegen mit einem motorisierten Fahrzeug unterwegs ist, merkt sehr schnell die Unterschiede zu den deutschen Straßen. Hier sind die Fahrbahnen deutlich schmäler und man fährt oft durch Tunnel. Aber nicht irgendwelche kurze Teile, wie z.B. den Tauerntunnel, für den die Betreiber in Österreich horrende Gebühren verlangen. Tunnel mit fünf, sechs oder sieben Kilometern Länge sind in Norwegen sozusagen an der Tagesordnung. Jetzt reden wir aber vom Laerdalstunnel, dem mit 24,51 Kilometern längsten Straßentunnel der Welt.

Während man vor dem November 2000 mit der Fähre nach Laerdal fahren musste, kann man die Fahrtstrecke seit nunmehr zwölf Jahren durch diesen Tunnel zurück legen, der interessanterweise mautfrei ist, weil man damit abgelegene Regionen fördern möchte. Auffallend an diesem Tunnel ist aber nicht nur die außergewöhnliche Länge, sondern auch die Beleuchtung an einigen markanten Haltepunkten. Die Blau-, Orange- und Grüntöne wirken beinahe betörend, halten in jedem Fall aber die Aufmerksamkeit hoch.

Was wir schon 2009 festgestellt hatten, bestätigte sich in diesem Jahr auf eindrucksvolle Art: die Norweger sind wirklich die wahren und einzigen Tunnelbau-Weltmeister!

Nachdem wir den Laerdals-Tunnel hinter uns gelassen haben, sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Stabkirche in Borgund. Auch hier thronen auf den Giebeln Drachenköpfe und verscheuchen jeden Feind. Aber heutzutage haben die "Feinde" allenfalls Fotoapparate im Anschlag, zählt die Stabkirche doch zu den schönsten ihrer Art.

Im sehr schön gestalteten Besucherzentrum findet der Interessierte alle nur erdenklichen Informationen zu Architektur, Geschichte usw. Nicht nur über die Kirche in Borgund, sondern über die Stabkirchen in Norwegen ganz allgemein. Auch Eintrittskarten können hier erworben werden. Aber jetzt genug der Worte, hier sind ein paar Bilder des teergeschwärzten Kleinods in Borgund:

Selbst nachdem wir nun schon mehrere Stabkirchen persönlich kennenlernen durften, ziehen uns die "Pagoden des Nordens", wie sie auch genannt werden, unwiderstehlich in ihren Bann. Über 1000 dieser Kirchen soll es einmal gegeben haben, einige Quellen nennen auch 2000, 28 sind noch übrig geblieben. Und jene, die man noch bewundern kann, sind in Größe, Ausstattung und Grundriss unterschiedlich. Noch ein Superlativ: die Stabkirche in Borgund wird allgemein als die besterhaltene von allen bezeichnet, dabei stammt auch sie aus dem späten 12. Jahrhundert, hat also schon ein paar Jahre auf dem geteerten Buckel. Originaldachschindeln kann man übrigens im Besucherzentrum bewundern.

In der folgenden kurzen Fotoshow kommen noch einige Aufnahmen dieser außergewöhnlichen Kirche:

Unser Alternativprogramm stellte sich als Glückstreffer heraus. Es ist ja nicht nur die Kirche an sich, schon die Anreise dorthin, in diesem Fall über den Laerdaltunnel, war aufregend genug. Nach diesem interessanten Abstecher fuhren wir zurück nach Flam. An der Tunnelausfahrt beobachteten wir immer wieder Autofahrer, die von der Polizei heraus gewunken wurden. Wie überall in Norwegen sollte man auch im Laerdaltunnel die erlaubte Geschwindigkeit von 80 km/h nicht überschreiten. Mit eingeschaltetem Tempomat ist das nun auch kein Problem. 

Zurück in Flam stellten wir zunächst unser Womo auf dem Camping-Platz ab und spazierten dann gemütlich zum Bahnhof. Flam ist ein ausgesprochen übersichtlicher Ort und in ein paar Minuten steht man hier am Bahnsteig oder am Fjord und bewundert Kreuzfahrtschiffe wie dieses:

Wir hatten noch etwas Zeit und vertrieben uns dieselbe mit Fotografieren. Die Sonne lachte hier kurzzeitig vom Himmel, das musste ausgenutzt werden.

Jetzt war es aber wirklich "höchste Eisenbahn" (wie passend!). Am Bahnsteig wartete schon der Zug auf seine Gäste, die zu Hunderten in die Waggons strömten.

In vielen Beschreibungen in Reiseberichten und Prospekten hatten wir uns über die Flamsbahn informiert. Die Bahnfahrt zwischen Flam und Myrdal zählt mittlerweile zu den bekanntesten Touristenattraktionen von ganz Norwegen. Schon der Bau war eine einzige große Herausforderung für die Ingenieure der damaligen Zeit. Wenn man sich vorstellt, dass 80 Prozent der Gleise eine Neigung von 55 Promille haben, das entspricht einem Gefälle von 1 Meter je 18 Meter Länge, kann man die Schwierigkeiten, die sich hier geradezu auftürmten nur erahnen.

Länge der Strecke: 20,20 km Höhenunterschied: 863,5 Meter Größte Steigung: 55 Promille Größte Geschwindigkeit: 40 kmh Fahrzeit: 53 Minuten

Die Sitze im Zug sind einigermaßen bequem und die Aussicht aus den Fenstern ist gut, wenn, ja wenn das Wetter mitspielt. Leider zogen schon wieder einige Wolkenfelder über den Aurlandsfjord, aber noch waren wir guten Mutes.

Die Flamsbana benötigt für die 20 Kilometer etwa eine Stunde. Dabei fährt sie, kein Wunder bei diesen Gegebenheiten, durch 20 Tunnel, die eine Gesamtlänge von sechs Kilometern haben. 18 von diesen Tunneln wurden von Hand durch den harten Stein getrieben. Ein unvorstellbarer Kraftakt.

Die Bahnfahrt zwischen Myrdal und Flam bietet eines der atemberaubendsten Panoramen ganz Norwegens. Aber fotografieren bei geschlossenen Scheiben setzt erstklassiges Equipment voraus, darüber verfügen wir leider nicht, so dass die folgenden Bilder die Schönheit der Landschaft oft nur erahnen lassen.

 

Ab etwa 50 Höhenmetern öffnet sich das Tal, wir sehen alte Höfe, die 1667 erbaute Kirche huscht in Sekundenschnelle an uns vorbei. Berge, Wälder und immer wieder Wasser.

Bei Kilometer 15,6 gibt es einen spektakulären Stopp. Die Wasser des Kjosfossen rauschen unter unseren Füßen durch, die Fallhöhe beträgt 93 Meter. Begleitet wird das Schauspiel von einer rot gewandeten Dame und mystischen Klängen. Fast könnte man vergessen, dass man nicht allein ist.

Nach dem Stopp am Kjosfossen geht es weiter nach Reinunga. Hier fährt der Zug in die erste Spirale ein. Die Fahrt geht zwar gemächlich dahin, trotzdem kommt das Panoramafenster so überraschend, dass ich meinen Fotoapparat nicht schnell genug in den Anschlag bekomme. Am Bahnhof Myrdal machen wir etwa 20 Minuten Pause, bevor es wieder nach unten ins Tal geht. Die Wolken haben längst wieder die Oberhand gewonnen und so sind gute Aufnahmen Mangelware.

Auf dem rechten Bild sehen wir einen weiteren gewaltigen Wasserfall, den Rjoandefossen mit einer Gesamthöhe von 310 Metern und einer freien Fallhöhe von immerhin noch 147 Metern.

Die Fahrt endet schließlich dort, wo sie begonnen hat: in Flam. Der Spaß kostete uns 360 Norwegische Kronen, also etwa 50 Euro pro Person. Ein in der Tat nicht ganz billiges Vergnügen, das uns zwar gefallen hat, aber auch nicht die Euphorie auslöste, die man in vielen Reiseberichten lesen kann. Vielleicht liegt es daran, dass der Betrachter in Norwegen ohnehin über die Maßen verwöhnt wird, vielleicht lag es auch nur am nicht so tiefblauen Himmel, den man für schöne Fotos einfach braucht. Das wieder schlechter werdende Wetter hat uns dann auch von einer Fährfahrt Laerdal-Kaupanger-Gudvangen Abstand nehmen lassen. Die hätte unser Budget noch mehr belastet und wer weiß, vielleicht holen wir das irgendwann einmal nach.

Wir lassen Tag 7 unserer "Puffin-Tour 2012" im Womo ausklingen. Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende. Wenn Sie jetzt Lust auf den größten europäischen Festlandgletscher bekommen haben, dann lassen Sie sich doch auf der nächsten Seite überraschen vom "kalten Riesen".

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