In den meisten Krimis geht es um Geld, Liebe oder Beides. Hier auch. Ein junger Mann stürmt in eine Bank und glaubt leichte Beute zu machen. Doch er hat die Rechnung ohne die 72-jährige Rentnerin Barbara Flottweck gemacht. Die hilft ihm auf die Sprünge, dass ihm Hören und Sehen vergeht!

 

Barbara's barocker Ballermann

Die Hamberger Bankfiliale war an diesem Montagmorgen noch eine Spur unauffälliger als sonst. Die ersten Sonnenstrahlen lugten nur vorsichtig in den kleinen Schalterraum, der außer ein paar lieblos platzierten Pflanzkübeln nicht viel zu bieten hatte. Von den Angestellten war noch nichts zu sehen. Lediglich die eifrige Kassiererin Lilo Sandweger hantierte im Schalterraum mit zwei Geldbomben, die sie kurz vorher aus dem Nachttresor genommen hatte.

Um diese Zeit, es war 9.00 Uhr, verliefen sich nur selten Kunden in die Bank. Genau aus diesem Grund war auch Barbara Flottweck in die Filiale an der Karlsdorfer Straße gekommen. Einmal im Monat erledigte die rüstige Rentnerin, der man die 72 Jahre nicht ansah, ihre Bankgeschäfte. Obwohl sie sich bester Gesundheit erfreute, benutzte sie doch einen altmodischen hölzernen Gehstock. Der vollbrachte mitunter wahre Wunder.

„Guten Morgen, Frau Flottweck, so früh schon auf den Beinen", begrüßte Lilo Sandweger die Stammkundin, die sie schon seit Jahren kannte.

„Guten Morgen, Lilo. Sie wissen ja, der Nachmittag gehört der Jugend", antwortete Barbara Flottweck. Sie kokettierte gerne mit ihrem Alter, dabei verrieten ihre blitzenden Augen, dass sie rege war wie eh und je. Auch auf ihr Äußeres legte sie großen Wert. Sie trug immer noch Kostüme in frischen Frühlingsfarben, die ihr ein beinahe jugendliches Aussehen verliehen. Die Gehhilfe wirkte da irgendwie störend.

Frau Flottweck füllte gerade ein Überweisungsformular aus, als ein junger Mann in die Filiale stürmte. Er mochte vielleicht 25 Jahre alt sein, trug eine verwaschene Jeans, ein schlabberiges T-Shirt und eine speckige hellbraune Lederjacke, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Kurz vor dem Kassenschalter blieb er stehen, sah sich nervös nach allen Seiten um und holte schließlich eine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke: „Das ist ein Überfall! Geld her!" brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Dann machte er ein paar Schritte nach vorne, stieß Frau Flottweck unsanft zur Seite und hielt der Kassiererin seinen Revolver unter die Nase. Lilo Sandweger erstarrte zur Salzsäure. Mit vor Schreck geöffnetem Mund und weit aufgerissenen Augen blickte sie direkt in die Mündung der auf sie gerichteten Waffe. Auf die Idee, den Alarmknopf zu drücken, kam sie in ihrem aufgelösten Zustand erst gar nicht.

„Mach bloß keinen Stress! Das ist kein Spielzeug", fuhr sie der dreiste Bankräuber an. Eine völlig überflüssige Bemerkung, denn die Kassiererin dachte nicht im Traum an Gegenwehr oder dergleichen. Gleichzeitig schob er Frau Sandweger eine Plastiktüte hin, in die sie die Geldscheine packen sollte. Die Bankangestellte fühlte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Unfähig auch nur einen Ton zu sagen, nickte sie nur mehrere Male. Am ganzen Körper zitternd, griff sie nach der Tüte und hauchte mehr als sie sprach: „Bitte, bitte, tun Sie mir nichts. Ich gebe Ihnen das Geld."

„Quatsch mich nicht voll hier. Ich hab’s eilig", schnauzte der Gangster zurück.

„Junger Mann, Sie haben wirklich keine Manieren. So spricht man doch nicht mit einer Dame und von Arbeit halten Sie anscheinend auch nicht viel", sagte Barbara Flottweck plötzlich, die unmittelbar neben dem Bankräuber stand. Obwohl sie bestimmt einen Kopf kleiner war, baute sie sich vor ihm auf. Sie sah ihm fest in die Augen und stemmte die Arme in die Hüften. Der Gangster blickte halb belustigt, halb überrascht auf die alte Frau vor ihm herab. Er wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. So ein Muttchen konnte schließlich keiner ernst nehmen. Und Gefahr drohte von so einer schon gleich gar nicht, dachte er.

Diese kurze Pause nutzte Barbara Flottweck. Mit einer Behändigkeit, die ihr niemand zugetraut hätte, schnappte sie sich ihren Spazierstock, den sie am Schalter abgehängt hatte. Dann hakte sie den halbrunden Griff in der linken Kniekehle des Bankräubers ein, zog so fest sie konnte und hebelte den völlig verblüfften Mann aus. Der stürzte rücklings und schlug so hart auf den Fliesenboden auf, dass er bewusstlos liegen blieb. Barbara handelte cool wie ein erfahrener Kriminalkommissar. Mit einem lässigen Tritt schlenzte sie die Pistole des Räubers, die ihm beim Sturz aus der Hand geflogen war, zur Seite. Dann beugte sie sich über den Bewusstlosen und kontrollierte, ob er noch am Leben war.

„Er wird nur eine große Beule haben und ein paar Kopfschmerzen", stellte sie nüchtern fest.

Lilo Sandweger hatte die Szenerie ungläubig staunend verfolgt. Schließlich lugte sie vorsichtig über den Schaltertresen und sah abwechselnd von dem weggetretenen Gangster, der ihr soviel Angst eingejagt hatte, zu Barbara Flottweck. Jetzt, da die Gefahr endlich vorüber war, drückte die Kassiererin erleichtert den roten Alarmknopf. In ein paar Minuten würde die Polizei da sein. Und ganz bestimmt würden auch ein paar Journalisten nach der eigentlichen Heldin fragen, die doch nur ihre Bankgeschäfte erledigen wollte.

Barbara Flottweck war immer noch die Ruhe in Person. Während sie mit der Gehstockspitze den Gangster in Schach hielt, wirkte sie auch noch beruhigend auf die Kassiererin ein: „Keine Angst, Kindchen, der tut Ihnen nichts mehr. Aber bevor die Polizei kommt und den Kerl dingfest macht, erledigen wir doch das mit der Überweisung noch schnell. Ich hätte nämlich beinahe vergessen, den Mitgliedsbeitrag für den Judoklub zu zahlen. Wäre ja wirklich schade, wenn die mir kündigen, wo ich doch schon fast zum Inventar gehöre!"

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